Wie viel kann ein kleines Sloughi-Mädchen oder ein kleines Hundekind
ertragen und sich trotzdem nicht vom Menschen abwenden?
Ich weiß es nicht. Ich kann es nur ahnen.
Azima weiß es.
Hundekinder haben Angst, wenn sie aus ihrer gewohnten Umgebung,
ihrem Rudel, herausgerissen werden. Wenn sie ihre Geschwister, ihre
Mutter, die vertrauten Personen verlieren.
Sie wissen nicht, was sie erwartet. Eine fremde Umgebung, fremde
Menschen. Sie wollen nicht alleine bleiben. Sie protestieren, manche
lautstark, manche leise.
Jeder, der einen Welpen aufgezogen hat, weiß das.
Wer kann nicht ein Lied davon singen, kaputte Pantoffeln, zerrupfte
Stofftiere, manchmal angenagte Möbel. Winseln, jaulen, wenn die
erste "du-bleibst-jetzt-mal-allein-(kurz)-Übung" stattfindet.
Die kleine Pfütze auf dem Teppich, ausgerechnet immer auf dem Besten.
Vor Freude, um die Untergebenheit zu demonstrieren und auch weil
es ja viel zu lange dauert, bis man e n d l i c h rauskommt. Und
außerdem regnet es gerade draußen!!!
Das "Fangen-Spielen": Du kriegst mich nicht - ich bin so-wie-so
schneller. Und überhaupt, warum soll ich zu dir kommen, wenn du
so schlechte Laune hast? Da halt ich lieber Abstand. Das ist sicherer.
Vielleicht wirst du wieder friedlich, wenn ich versuche dich zu
beschwichtigen. Mit in der Gegend rumkucken, gähnen oder vorsichtigem
und vor allem langsamen!!!(wichtig!) Annähern, damit du nicht wieder
wütend wirst.
Wie soll ein kleiner Hund reagieren, wenn ihn keiner mehr versteht.
Wenn seine Versuche, Kontakt zu den Fremden aufzunehmen nicht verstanden
werden. Wenn er bestraft wird und er nicht weiß, warum.
Wie soll sich solch ein kleines Geschöpf fühlen?
Verlassen.
Ein Züchter versucht zu ergründen, ob die Person, die vor ihm sitzt
und unbedingt und ausgerechnet nur diesen einen, besonderen Hund
haben will, die Richtige für seine Welpen ist. Ob sie die richtige
Person ist, weiß er erst, wenn der Welpe vertrauen fasst, sich weiter
entwickelt und aus dem verspielten, tapsigen Welpen ein stolzer,
eleganter Windhund wird.
Gewissheit hat er erst in vielen Jahren. Nach einem langen, erfüllten,
glücklichen Hundeleben. Alle diejenigen, die jemals vor dieser Entscheidung
standen, einem fremden Menschen ihr "Ein-und-Alles" an zu vertrauen,
wissen, wie schwer das ist.
Als Azima mit wenigen Monaten wieder nach Hause kam, in ihr Rudel,
zu ihrer Schwester, ihrer Mutter, war sie ein verängstigter, unsicherer
junger Hund geworden. In der gewohnten Umgebung lebte sie sich schnell
wieder ein und fasste neues Vertrauen. Insbesondere die Angst vor
Männern und die regelrechte Panik vor Halsbändern blieb zunächst.
Bis sie auf ihre neue Familie traf. Mit viel Geduld und noch mehr
Liebe schaffte es das Ehepaar, und insbesondere der Mann, Azimas
Vertrauen zu gewinnen. Um den Hund zu schonen, der in seinem kurzen
Leben schon so viel erlebt hatte, wurden Dinge, die sie nicht mochte,
soweit möglich, von ihr fern gehalten. Auch die Konsequenz in der
Erziehung blieb, aus Vorsicht, etwas auf der Strecke. Azima gefiel
es. Sie fühlte sich wohl. Die neuen Besitzer haben sicher manch
schlaflose Nacht und manche "Schrecksekunden" durchlebt auf dem
Weg vom verängstigten Bündel zum fröhlichen, jungen Hund.
Ich habe mir die Frage immer wieder gestellt. Wie viel kann ein
junger Hund ertragen ohne aufzugeben?
Plötzlich war der Mensch, dem sie ihr Vertrauen geschenkt hatte,
nicht mehr da.
Er war, so unerwartet für alle, aus dem Leben gerissen worden.
Die Ohnmacht, die Trauer der Zurückgebliebenen war zu groß. Sie
konnten nicht weiter für Azima sorgen. ihr das geben, was sie so
dringend benötigte.
Sicherheit, Geborgenheit, innere Ruhe.
Wie viel kann ein kleines Hundekind ertragen.
Nein, habe ich vor langer Zeit einmal gesagt. Einen ausgewachsenen
Windhund zu nehmen ist so schwer.
Schafft er es, sich in unser bestehendes Rudel inklusive Katze,
Pferd und zwei exzentrischen Hütehunde einzuleben?
Nein, habe ich gesagt, das ist unmöglich!
Aber man ändert seine Einstellung, manchmal.
12 Jahre durfte ich in der Gesellschaft von Bojar, meinem ersten
Windhund, einem stolzen, selbstbewussten Barsoi Rüden, verbringen.
Es wird nie wieder einen Barsoi wie ihn geben. So viel Ruhe, die
er ausstrahlte. Er wusste immer, jeder Zeit und überall, was er
wollte. Es gab nichts, was ihn erschüttern konnte.
Er ist zu früh gestorben, ein Tumor an der Herzbasis hat ihm das
Leben genommen.
Anisa, meine Sloughi-Dame, und ich waren allein. Er fehlt uns. Jeden
Tag.
Azimas Weg habe ich von Anfang an verfolgt. Als sie das Erste mal
zurück kam, war es zu früh. Jetzt zögerte ich keine Moment, keine
Sekunde. Das Schicksal hat uns zusammen geführt.
Sie ist unser Hund, das wusste ich sofort, ohne sie vorher gesehen
zu haben.
Sobald als möglich haben Anisa und ich uns auf den Weg vom Rheinland
nach Norddeutschland gemacht. Ich dachte, als ich sie das Erste
mal sah, ich habe Anisas Tochter vor mir. Sie sind sich so unglaublich
ähnlich.
Zunächst war Azima schon ein wenig misstrauisch. Was passiert denn
jetzt schon wieder, wer ist diese aufdringliche Tante? Innerhalb
kürzester Zeit wusste sie, das sie zu uns gehört. Sie hat ihren
Platz gefunden. Es ist so, als wäre sie schon immer bei uns gewesen.
Sie ist der Gegenpol und die Ergänzung zu Anisa. Sie ist der Raufbold,
der Proll, der Clown. Anisa ist die Prinzessin auf der Erbse. Zusammen
bilden sie ein unschlagbares Team.
Ich habe noch nie in meinem Leben einen Hund wie Azima gehabt.
Ich bin mit Hunden groß geworden. Ich habe viel Erfahrung im Umgang
mit Hunden. Wir hatten Mischlingen, bissige, misshandelte Tierheimhunde,
wachsame, misstrauische Hütehunde. Aus allen sind, dank meiner Eltern,
insbesondere meiner Mutter, umgängliche Familienhunde geworden,
die mir und meinen zwei Geschwistern Liebe und Respekt vor Tieren
beigebracht haben.
Trotzdem bin ich noch nie solch einem Hund wie Azima begegnet.
So voller Lebensfreude, nie schlecht gelaunt, immer fröhlich. Sie
könnte jeden Tag aufs Neue vor lauter Freude die ganze Welt umarmen.
Sie ist voller Optimismus. Und oft genug sitzt ihr der Schalk im
Nacken.
Manchmal hindert sie noch das Erlebte auf Fremde offen zu zu gehen.
Trotzdem fasst sie schnell Vertrauen.
Sie ist so unkompliziert!
Ich kann nicht nachvollziehen, wie man mit solch einem lustigen,
neugierigen, anschmiegsamen Hund nicht auskommen kann. Wie man solch
einen Hund, wenn man das Glück hat, ihn sein Eigen zu nennen, nicht
festhält, an sich drückt und am liebsten nie wieder loslassen möchte.
Wie viel kann ein kleines Sloughi-Mädchen ertragen und trotzdem
so fröhlich sein?
Ich weiß es nicht.
Azima wird es mir nie erzählen können.
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