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Im Schatten der großen Schwester Djerba : Zarzis, die Unbekannte...

 

 

von Anne Sasson

Man nennt sie „den kleinen Smaragd“, diese von Olivenhainen und Palmen ummantelte Küstenoase. Die Region um Zarzis ist mit der Insel Djerba durch einen antiken römischen Damm verbunden, der wie auf das Meer gebettet wirkt. In den 80er Jahren entwickelte sich deutlich sichtbar der Tourismus, entfernt man sich jedoch von den Strandhotels, so bestimmen Wüste, Palmen und Olivenbäume wieder das Landschaftsbild.

Dank zahlreicher Funde an den Ufern der Sebkahs (Salztonebenen) El Mélah und Bou Jmel lässt sich die Ansiedlung der Menschen in dieser Region bis zum Neolithikum (5000 bis 2000 Jahre v.Chr.) zurückverfolgen. Im 6. Jahrhundert v.Chr. unterstand dieser Teil der südtunesischen Küste der Herrschaft Karthagos. Nach der Niederlage der Karthager vor Rom im Jahre 202 v. Chr. wurde die Halbinsel bis zur Eroberung durch die Römer an das Reich der Numider angeschlossen. In den Ausgrabungen von Gightis oder entlang des El Biben Sees lassen sich die Spuren der Römer nachweisen. Nach dieser ruhigen, über 400 Jahre währenden Periode des sog. „Römischen Friedens“ eroberten die Vandalen Nordafrika, um ein Jahrhundert später von der byzantinischen Armee verjagt zu werden. Noch heute sind Ruinen und Schutzwälle aus dem byzantinischen Zeitalter zu sehen. In der Mitte des 7. Jahrhunderts gelang es arabischen Rittern unter ihrem Anführer Abdallah Ibn Saad, den letzten byzantinischen Herrscher zu schlagen. Nach und nach eroberten die Araber den gesamten nordafrikanischen Raum, was zu einer Islamisierung der eroberten Territorien führte. Für die Zeit zwischen dem 7. und 12. Jahrhundert gibt es nur wenige historische Belege. Für kurze Zeit war Zarzis von den Spaniern besetzt. Im Jahre 1574 wurden sie jedoch von den Türken wieder verjagt.

Der Legende nach wählten die Accaras genau diesen Zeitpunkt, um nach Zarzis überzusiedeln. Ihr Urahn Sid Kelifa Sayah El Accari soll um 1580 aus Marokko gekommen sein. Die Accaras hatten anfänglich erhebliche Schwierigkeiten, sich dort niederzulassen, da der in Südtunesien und Tripolitanien herrschende Stamm, die Nouails, sie immer wieder vertrieben. Sidi Sayah und seine Begleiter suchten im nahen Libyen und auf Djerba Zuflucht. Im 18. Jahrhundert zogen sie in ihre einstige Wahlheimat zurück und vertrieben mit Hilfe des Herrschers von Tunis, Ali Bey, endgültig die Nouails. Ali Bey ließ einen Borj (eine Festung) im Zentrum Zarzis erbauen, um das Land der Accaras vor den Nouails zu schützen. Die Accaras bauten Oliven und Palmen an, gruben Brunnen und errichteten Moscheen, Ölmühlen und Ksours (Kornkammern, manchmal auch Zitadellen).

Diese Zeit liegt nun einige Jahrhunderte zurück, doch ein Spaziergang auf dem Freitagsmarkt in Zarzis wirkt wie eine Reise in die Vergangenheit. Die Frauen in ihren bunten Kleidern und die Männer mit ihren von der Sonne zerfurchten Gesichtern erinnern unweigerlich an ihre Vorfahren. Auch einige der Waren, die am Boden, auf wackeligen Holzständen oder direkt von der Ladefläche verrosteter Lastwagen angeboten werden, haben sich seit dem 16. Jahrhundert kaum verändert. Nehmen wir als Beispiel die Olive, die von der Geschichte Zarzis’ nicht wegzudenken ist. Das milde Klima im Winter und die heißen und sonnigen Sommer der Halbinsel bieten diesen Bäumen ideale Bedingungen. Überbleibsel antiker Pressen, Amphorenscherben und Öllampen, die in den archäologischen Stätten ausgegraben wurden, belegen den seit der Antike kontinuierlichen Olivenanbau. Heute zählen die Olivenhaine um Zarzis 1.220.000 Bäume auf einer Fläche von 61.000 ha. In Zusammenhang mit dem Anbau wurden 47 moderne Ölfabriken gegründet sowie zwei weitere, in denen die Rückstände der Oliven aufbereitet werden. Somit stellt die kleine grüne Frucht einen überaus wichtigen Wirtschaftszweig in der Region dar.

In Südtunesien wird die Olivenernte stellenweise immer noch wie ein großes Volksfest gefeiert. Die Männer klettern auf Doppelleitern und kämmen die Äste mit bloßen Fingern oder mit Schafshörnern durch, da der Einsatz von Maschinen nicht überall möglich ist. Die Frauen und Kinder sammeln die Oliven vom Boden auf, sortieren sie und sieben sie anschließend, um die Früchte von den Blättern zu trennen. Anschließend werden die Oliven in Säcken gelagert, zu Ölmühlen gebracht oder zu den Souks und Märkte gefahren, wo sie verkauft werden.

Auch das Meer, insbesondere durch Fischerei und Salzgewinnung, aber auch durch die Nutzung der Strände, bietet den Einwohnern von Zarzis eine wichtige Einnahmequelle. Das Werkzeug und die Technik der Fischer haben sich im Laufe der Jahrhunderte wenig verändert. Die Kraken werden nach wie vor in aneinander festgebundenen Töpfen gefangen. Diese werden ins Meer geworfen, um nach nach einigen Tagen, wenn die Kraken in diese Fallen gegangen sind, wieder an die Meeresoberfläche geholt zu werden. Die Gewinnung der Schwämme ist ebenfalls traditionell geblieben, die Technik wurde von den Sizilianern und Griechen hier eingeführt. Durch die Fischerei hat sich an der Küste und insbesondere auch entlang des El Biben Sees die Konservierung durch Einsalzen rasch entwickelt.

Neben ihrer touristischen Nutzung liefern die Strände und das Meer einfache und doch unverzichtbare Rohstoffe für die Baubranche, die von den Einwohnern seit jeher genutzt wurden: An erster Stelle natürlich der Sand, aber auch der Chackch (Kalkgestein) und die Muscheln, die, gemischt mit verflüssigtem Kalk oder Zement, sehr stabilen Mörtel liefern. Auch getrocknete Algen werden für die Bedachung einfacher Hütten und Verschläge verwertet.

Für die Römer entpuppte sich eine kleine Schnecke der Gattung Murex als besonders wertvoll. Aus der Purpurschnecke ließ sich ein kostbarer Farbstoff gewinnen, der rund um das Mittelmeer gehandelt wurde. Die Verwaltung dieses Gutes war so bedeutend, dass Rom spezielle Prokuratore nach Afrika entsandte, die die Gewinnung des Purpurs und die Färbereien in Afrika überwachen sollten.

Die Geschichte und Kultur der Region um Zarzis können in einem kleinen Museum entdeckt werden. Fragt man in den Hotels oder auch bei Taxifahrern danach, erhält man meistens die Antwort, das Museum sei geschlossen. Vielleicht liegt es nicht auf den üblichen touristischen Routen und ist somit nicht „kommerziell“ genug. Ist man einmal in Zarzis, lässt es sich jedoch, obwohl es „geschlossen sein soll“, ganz einfach finden - der kurze Weg dahin ist sogar mit Schildern gekennzeichnet. Das Museum befindet sich in der ehemaligen Kirche Notre Dame de la Garde, die zwischen 1920 und 1930 von zwei französischen Missionaren erbaut wurde. Bis zur Unabhängigkeit wurde sie von der christlichen Bevölkerung der Region besucht. Im Jahre 1954 ging der letzte Priester, Pater Immhoff. Danach wurde die Kirche zunächst als Verwaltungsgebäude genutzt, später stand sie leer und verfiel.

Heute kann man in dem Museum vor allem Gegenstände aus archäologischen Funden bewundern. Sehr freundliche Museumswächter sind gerne bereit, Einzelheiten zu erklären und Fragen zu beantworten. Die meisten Gegenstände gehörten ursprünglich dem französischen Militär Jacques de Guillebon. Dieser verliebte sich bei seinem ersten Aufenthalt sofort in die Region und begann umgehend mit dem Bau einer Villa in der Nähe von Zarzis, in der er jahrzehntelang mit seiner Familie die Ferien verbrachte. Dort wurde auch seine Sammlung historisch wertvoller Gegenstände untergebracht, die im Jahre 2002 mit dem Einverständnis seiner Familie ins Depot des Museums verlegt wurde. Erst kürzlich hat die Familie des 1985 verstorbenen Generals de Guillebon außerdem das ihm gehörende Küstengebiet für den Bau eines neuen Hotels freigegeben.

Im Museum ist ein rekonstruiertes Modell der römischen Stadt Gightis ausgestellt. Wer sich für Archäologie interessiert, sollte allerdings den Tagesausflug zur Ausgrabungsstätte unternehmen. Dank ihrer günstigen Lage – einerseits am Mittelmeer, andererseits an den Toren der Sahara – wurde Gightis unter der Herrschaft Karthagos zum blühenden Handelsplatz. Diese Position konnte die Stadt noch unter den Byzantinern aufrecht erhalten, doch später bevorzugten die arabischen Eroberer die Häfen von Djerba und Gabès und Gightis geriet in Vergessenheit. Vom ehemaligen Handelskontor sind einige Spuren des großen Tempels, die Ruinen des Forums und der Thermalbäder, die Reste einer byzantinischen Festung und einer Basilika sowie einige original gepflasterte Straßen und ein Teil der Mole des Hafens zu sehen.

Doch zurück zum Städtchen Zarzis selbst: Die meisten Touristen besuchen es freitags für einen kurzen Marktbesuch und steigen sofort wieder in den Reisebus oder die Pferdekutsche ein, um in ihren Strandhotels etwas Abkühlung zu suchen. Dabei kann man gut und gerne dort etwas verweilen. Die Straßenzüge wirken zwar nur wenig exotisch - Zarzis ist sicherlich keine Stadt, die historische Sehenswürdigkeiten zu bieten hat. Doch das Minarett der alten weißen Moschee verleiht dem Zentrum ein gewisses Flair, wahrscheinlich, weil diese so legendenumwoben ist. Als die Accaras wieder einmal von den Nouails geschlagen wurden und es nur noch 40 Männer gab, die eine Waffe tragen konnten, rettete ausgerechnet eine Frau die Lage der Accaras. Sie hieß Gammoudi und hatte ihren Mann und ihre beiden Söhne in den tödlichen Auseinandersetzungen verloren. Sie vergoss keine Träne und schwor, die Verstorbenen zu rächen. Sie wechselte ihre Frauenkleider und ihren Schmuck gegen Ritterkleidung ein und rasierte sich die Haare. Sie ritt durch die ganze Gegend, sammelte diejenigen, die die Flucht ergriffen hatten, wieder ein und mit der Unterstützung des benachbarten Stammes der Touazine drang sie nach Libyen ein. Sie überraschte die Nouails derart, dass sie sich geschlagen geben mussten. Anschließend ging sie zurück nach Zarzis, wo sie endlich trauern konnte. Sie war unendlich traurig und weinte so sehr, dass sie erblindete und um 1760 starb. Als Dank errichteten die Fischer von Zarzis auf einer Anhöhe ein kleines Mausoleum, das später die große Moschee von Zarzis werden sollte.

Unweit der alten Moschee wurde kürzlich die „grüne Moschee“ erbaut, das Geschenk eines Sohnes der Stadt, der in Saudi Arabien reich geworden ist.

Der Fischerhafen kann besichtigt werden, wobei man ihn nicht gerade als pittoresk bezeichnen kann. Der Zutritt zum Handelshafen ist hingegen verboten.

Nun ist es an der Zeit, das Café Chahrazed anzusteuern. Eigentlich sind alle Plätze auf der schönen blauen Terrasse ausnahmslos von Männern, die vor ihrem Kaffeeglas sitzen und scheinbar wichtige Gespräche führen, besetzt. Doch der Kellner zaubert schnell einen Hocker hervor, der für uns als Tisch umfunktioniert wird. Von diesem zentralen Aussichtspunkt aus können zwei müde Touristinnen endlich Reiseführer und Kamera in die Tasche verstauen, Beine und Seele baumeln lassen und umgeben vom Klang der arabischen Sprache das bunte Treiben auf der Straße beobachten.

 

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