Tunesien - Die Halbnomaden von Douz
Wenn die kargen Dornbüsche in der Wüstensteppe um Douz
zarte grüne Spitzen bekommen, packen die Bewohner der umliegenden
Dörfchen vom Stamm der Marazig, die längst in Steinhäusern
mit Wasser- und Stromanschluss leben, ihre Zelte und ihre Viehherden
- Ziegen, Schafe oder Kamele - und ziehen wie einst ihre Väter
hinaus in die Wüste. Gut 30 km von ihrem Wohnort entfernt,
bleiben sie dort, bis die Sommerhitze das letzte Grün verbrennt.
Dieses Nomadenleben ist nicht ohne Komfort. Über die gute Piste
in der Nähe wird das Trinkwasser herangefahren, doch für
das Brennmaterial läuft die Beduinenfrau wie zuvor kilometerweit,
hackt die knorrigen Dornbüsche mit ihren Wurzeln aus der Erde
und trägt riesige Ballen auf dem Rücken zum Zelt. Der
dicke Teil gibt die Glut für das Kochfeuer, die dürren
Zweige das Licht am Abend.
Hinaus gehen die Alten. Wegen der Kinder zog man einst in die Dörfer,
um ihnen eine Schulbildung zu ermöglichen. Heute arbeiten sie
auf der Gemeindeverwaltung, der Bank oder im Tourismus. Doch am
Wochenende, sobald die Jüngsten aus der Schule kommen, zieht
die ganze Familie auf kleinen Lastwagen und mit Mopeds hinaus, beladen
mit Lebensmitteln, frischem Gemüse und Obst. Die Nomadenseele
schlummert nur, ein Abend unter dem Sternenhimmel der Wüste
ist schöner als in Douz mit seinen neuerbauten Luxushotels
direkt an der großen Düne El Hofra.
An diesem Abend treffen sich etwa 20 Familienmitglieder, auch ich
darf dabei sein. Vor dem handgewebten, braunen Zelt aus Kamel- und
Ziegenwolle bereiten die Frauen das Essen vor. Aus Mehl, Salz und
Wasser wird in breiten Schüsseln der Brotteig geknetet, eine
andere schält das Gemüse. Die Großmutter kehrt mit
ihrem riesigen Holzbündel zurück und brennt etwas abseits
ein großes Feuer an, dort soll später das Brot gebacken
werden. Die Schwiegertochter hat inzwischen den bauchigen Kessel
mit Fleisch und Gemüse aufgesetzt. Es ist ein herrlich windstiller
Abend, selten in der Sahara. Auf der einen Seite werkeln die Frauen,
auf der anderen sitzen die Männer im Kreis, trinken Tee und
palavern. Keiner käme auf die Idee, den Frauen etwas von ihrer
Arbeit abzunehmen. Die Aufgaben sind genau festgelegt, sie haben
ihr Tagewerk in der Stadt erfüllt. Die zahlreichen Kinder tollen
herum, sie haben genug Spielkameraden und viel Auslauf, von der
Piste, auf der nur alle paar Stunden ein Auto fährt, sind wir
einige 100 Meter entfernt.
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Ein Nomadenzelt aus Ziegenhaar. |
Kurz vor Sonnenuntergang kommen die Ziegen von ihrer Futtersuche
zurück. Niemand hat sie beaufsichtigt, sie folgen ihrem Instinkt,
der sie rechtzeitig zum Zelt zurück bringt. Die erwachsenen
Tiere werden in einem Pferch aus Dornbüschen angebunden, auch
das eine Aufgabe der Frauen. Die Jungtiere werden im Innern des
Zeltes an der Seitenwand festgebunden. Schakale gibt es viele und
ein solches Zicklein käme ihnen gerade recht. Doch zu den Menschen
trauen sie sich nicht.
Die Frauen schieben nun die rote Glut des Brotfeuers zur Seite,
legen den Teigfladen in die Mulde, häufen heißen Sand
darüber und schichten einen zweiten Fladen darauf, der mit
Glut bedeckt wird. Später klopft man einfach Asche und Sand
ab und erhält ein leckeres Fladenbrot. Auch das Fleisch ist
inzwischen gar. Eine große, dampfende Schale kommt in den
Kreis der Männer, eine kurze Diskussion auf Arabisch, dann
werde ich, die europäische Frau, dazugebeten. Alle tunken nun
Brotstücke in die Fleischsoße. Es gibt etwas ganz besonderes:
Gazellenfleisch. Es schmeckt sehr gut und ist herrlich zart. Nachdem
die Männer satt sind, wird ein kleiner Kinderkreis gebildet,
sie tunken die Schale mit den Resten der Männer aus. Die Frauen
backen derweil ein neues Brot und erst dann können auch sie
essen.
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Die Nomadenfrauen bei der Essenszubereitung. |
Nach der Mahlzeit, als man sich gerade zum Tee setzen will, ein
Motorengebrumm. Beduinen von einem anderen Zelt kommen auf ihren
Mopeds zu einem kleinen Plausch vorbei. Klar gibt es getrennte Frauen-
und Männerrunden, doch fliegen Worte hin und her, und es herrscht
eine innige Atmosphäre der Gemeinsamkeit. Die Kinder, müde
vom Herumtollen, lassen sich einfach fallen und schlummern.
Gazellenjagd
Aber nun kommt die Stunde der Männer. Die Nacht ist längst
hereingebrochen, und sie bereiten die Motorräder zur Gazellenjagd
vor. Am Lenker sitzen starke Scheinwerfer, von denen die Tiere bei
ihrer Flucht geblendet werden und dann leicht geschossen werden
können. Fünf Männer auf Mopeds mit umgehängten
Gewehren brechen auf. Mir tun die armen Tiere in der Seele leid.
Aber habe ich ein Recht darauf, die Jäger zu verurteilen? Sie
schießen nur den Nahrungsbedarf für ihre Familie, wissen
sehr wohl, dass das verboten ist. Und hätten es bestimmt nicht
nötig, würden sie so im Wohlstand leben wie wir. Dass
ich sogar Fotos von ihnen machen darf, ist ein großer Vertrauensbeweis.
Doch das Ergebnis dieser Jagd will ich nicht mehr sehen. Unter
einem sternenübersäten Himmel erreichen wir um Mitternacht
die Touristengettos an der großen Düne. Die Fremden werden
zu Hunderten von Djerba, Hammamet oder Sousse herangekarrt, für
eine Stunde, lächerlich verkleidet, auf ein Dromedar gesetzt
und dann in ihrem Luxusquartier abgeladen. An einheimischer Bevölkerung
lernen sie lediglich den Reiseführer kennen. Wie die Tunesier
leben, wie es bei ihnen zu Hause aussieht, ist ihnen unbekannt.
Ein paar Tage zuvor sagte mir eine Deutsche: Douz? Da ist doch nichts
los! Da werden doch um 20 Uhr die Bürgersteige hochgeklappt.
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